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Bit für Bit in das Internet der Energie

 

Hrsg. Prof. Dr. Jens Strüker; veröffentlicht Juni 2016

Stromverteilnetze werden traditionell nach Spitzen im Verbrauch dimensioniert. Dabei wird die Nachfrageseite nicht systematisch zur Lastverschiebung, und somit nicht zur Spitzenlastreduktion genutzt. Auf der Erzeugungsseite verbuchen wir heute Millionen von Photovoltaikanlagen, zehntausende Windkraftanlagen und tausende Blockheizkraftwerke, die nicht für ein lokales oder regionales Engpassmanagement genutzt werden. Darüber hinaus ist, in Anbetracht des prognostizierten Preisverfalls der Lithium- Ionen-Technologie, in den nächsten Jahren von einer zehntausendfachen Installation dezentraler Solarbatterien auszugehen. Diese kleinteilige und unkoordinierte Erzeugungs- und Verbrauchslandschaft führt im Ergebnis zu enormen Redundanzen und unnötigen Stromtransporten. Die Elektrifizierung des Mobilitäts-, Transport- und Wärmesektors würde diese Situation weiter verschärfen. Faktisch ist das deutsche Energiesystem aktuell ineffizient, und es wird zunehmend ineffizienter.

Es gibt jedoch auch eine gute Nachricht. Sie lautet: Die Digitalisierung der Energiewirtschaft kann entscheidend dazu beitragen, das System effizienter und effektiver zu machen. Herzstück der Entwicklung ist die kostengünstige Kommunikation zwischen Geräten aller Art und Größe, das so genannte „Internet der Dinge“ (IoT). Vergleichbar mit den oft als Beispiel zitierten Geschäftsmodellen von Airbnb und Uber gilt es, bislang unausgelastete Ressourcen wirtschaftlich zu nutzen.

Batterien, Autos und Maschinen – und sogar die Luft in Gebäuden als Speicher – werden zu steuerbaren und aktiven Elementen im Energiesystem und damit Flexibilität zu einem Wirtschaftsgut. Auf diese Weise kann z.B. die Solardachanlage des Nachbars in dessen Abwesenheit zur lokalen Stromerzeugung genutzt werden. Stimmen sich Geräte lokal und regional untereinander ab, dann können u.a. Einspeisungen ins übergeordnete Netz oder der Strombezug aus einem Großspeicher bzw. einem großen Solarfeld vermieden werden.

Internet der Energie
Wann dies mikro- und makroökonomisch wirtschaftlich ist, hängt insbesondere von dem Ordnungsrahmen ab, der das Zusammenspiel von Märkten und Netzen regelt. Absehbar werden jedenfalls zukünftig Millionen und Milliarden von Geräten spontan und in Echtzeit miteinander kommunizieren und sich gegen  Knappheitssignale aus Netz und Markt optimieren können. Zwei wesentliche Herausforderungen sind vor dem beschriebenen Hintergrund für den Aufbau eines „Internets der Energie“ zu adressieren. Erstens: Wie finden sich Geräte spontan und können automatisiert kommunizieren sowie sicher interagieren? Und zweitens: Wie können Mikro-Transaktionen sicher und effizient nachgehalten bzw. abgerechnet werden?

Um Angebot und Nachfrage für das Wirtschaftsgut Flexibilität zusammenzubringen, muss zunächst Transparenz über Akteure und deren Anlagen erzeugt werden.

Die entstehende Smart Metering Infrastruktur und die im Strommarkt-Gesetzentwurf vorgesehene Einrichtung einer nationalen Informationsplattform sowie eines zentralen Marktstammdatenregisters sind wichtige Elemente einer Lösung. Unbeantwortet bleibt allerdings bislang die Gewährleistung eines sicheren, effizienten und standardisierten Datenaustauschs über einen zuverlässigen Vermittlungsdienst auch außerhalb der heutigen Marktkommunikation. D.h. gesucht sind Mechanismen und Schnittstellen für die spontane und vorrübergehende Vernetzung von Erzeugungsanlagen sowie Lasten und Speichern aller Art. Mitglieder der „Internet der Energie”-Arbeitsgruppe des Bundesverbandes der Deutschen Industrie BDI haben das „Data Access Point Manager“ (DAM)-Konzept als informationstechnische Infrastruktur für Smart Grid und Smart Market entwickelt [Diskussionspaper unter: https://goo.gl/PXj7gt]. Die Umsetzbarkeit des DAM-Konzepts soll ab 2016/2017 im Demonstrationsprojekt enera untersucht werden. Dieses ist Teil des Förderprogramms „Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Energie BMWi [http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Netze-und-Netzausbau/sinteg.html]. Vergleichbare Ansätze sollen auch in den anderen Schaufenstern des Förderprogramms wie dem Projekt C/sells erforscht werden.

Blockchain-Technologie
Auf die Frage, wie Mikro-Transaktionen sicher und effizient nachgehalten sowie abgerechnet werden können, gibt die Technologie „Blockchain“ eine Antwort. Die Blockchain ist letztlich eine verteilte Datenbank, die für die Durchführung von Transaktionen genutzt wird. Eine zentrale Instanz, der man vertrauen muss, ist nicht mehr erforderlich. Vielversprechend ist, neben der hohen Sicherheit, die beeindruckende Kostensenkung durch den Einsatz der Blockchain-
Technologie für den Aufbau und Betrieb von großen IoT-Netzwerken: Erwartet werden Senkungen um den Faktor 100 bis 1000. Das Projekt „Brooklyn Microgrid“ in New York beispielsweise zeigt eindrucksvoll die Machbarkeit des Ansatzes.

Die Einsatzszenarios in der Energiewirtschaft reichen von der Abrechnung bei Mieterstrommodellen über das „Teilen“ von Flexibilität im Rahmen von Nachbarschaftsansätzen bis hin zum Betrieb von Verteilnetzen. Erste größere kommerzielle Anwendungen werden von Experten in zwei bis drei Jahren erwartet.

Wir überschätzen regelmäßig das Ausmaß des Fortschritts innerhalb eines Jahres, sowie unterschätzen häufig, was im Laufe von zehn Jahren passiert. Es besteht folglich kein Grund für Aktionismus. Den Aufbau eines hochdynamischen Internet der Energie und das Heben der entsprechenden Effizienzpotentiale gilt es aber aktiv zu gestalten: D.h. insbesondere unsere Energiemarktordnung ist in den nächsten Jahren zügig weiterzuentwickeln und an die Anforderungen des entstehenden Internet der Energie anzupassen.